Unpathetisches Anger-Management
Die Urlaubsgedanken, die man sich am weißen Sandstrand macht, verlieren sich rasch im Grau der Großstadt. Und oft gibt’s es dann nichts als die grausame Gesellschaft des eigenen trostlosen Kopfes. Mit „Klotho“ haben uns BUG einen kongenialen Kompagnon geliefert, der mit uns die dunklen Ecken unserer Gedanken erkundet und den perfekten Soundtrack - inklusive Katharsis - dazu liefert.Dass dabei lyrisch wie musikalisch eher der Fehde- denn der Samthandschuh gebraucht wird, sollte sich von selbst verstehen. „Klotho“ (Interstellarrecords) ist ein brachial aufrüttelndes Manifest in Sachen Gitarrennoise, das die gaudiophile Gesellschaft an die Wand stellt. Dennoch ist in der Entwicklung von Bug etwas energetisches, fast positives vonstatten gegangen. Hat einen das Debut „Agape“ noch mit seiner introvertierten Destruktivität völlig überfahren und als großes Häuflein Elend sich selbst überlassen, so ist man inzwischen zu einer Art reinigendem psychoaktiven Noisegewitter geworden, das einem durch seine kathartischen Momente befreiende Kraft gibt (siehe auch Rezension im NN 005). Wie jemand mal richtig festgestellt hat, hat der destruktive Charakter ja auch durchaus etwas positives, denn Zerstören macht ja Spaß. So oder ähnlich könnte eine Maxime von Bug lauten. Folgend ein eMail-Interview mit M. (voice+lyriks) O. (percussion) und T. (bass).

Klotho ist nach der griechischen Sage, die Spinnerin des Lebensfadens. Sie ist eine der Moiren (Schicksalsgöttinnen), die dem Menschen den Anteil am Leben zuteilen. Klotho spinnt den Lebensfaden, Lachesis teilt das Lebenslos zu und Atropos durchschneidet den Faden. Seit ihr Schicksalsgläubig bzw. Fatalisten? Was soll Klotho im Album-Kontext aussagen?
O.: Wir sind weder schicksalsgläubig noch sehr fatalistisch – genre-typisch wäre wahrscheinlich „Atropos“ ein stimmigerer Titel gewesen – aber das wäre zu billig. Fakt ist, dass es Bug (zuvor Out of Order) schon relativ lange gibt – und uns die Band immer sehr wichtig war – auch wenn der „externe Erfolg“ nie „passierte“. – aber vielleicht ist auch das der Grund warum es uns überhaupt noch gibt. So gesehen also eine Hommage an Klotho (und sicher noch ein paar anderen) für unsere Existenz.

Nach „Agape“ ist „Klotho“ ein weiterer Albumtitel, der mythologisch angehaucht ist. Entspringt das einem näheren Interesse für Mythologie?
O.: Nicht grundsätzlich – „agape“ fiel mir im Zusammenhang eines Interviews mit dem lokalen Bischof auf – hat mich irgendwie fasziniert mit welcher Inbrunst da die Rede von „der sich in Christus zeigenden Liebe Gottes zu den Armen, Schwachen und Sündern“ war. Bug-kompatibel ist „agape“ vielleicht insofern, dass sich unser (meist spärliches) Publikum aus oben genannten Gruppen zusammensetzt – somit kommen wir zu dem Schuss „in Bug zeigt sich diese Liebe auch“.„Klotho“ hab ich in irgendeinem Buch entdeckt – mir hat das Wort an sich gefallen – ohne die Konnotation zu kennen.

Klotho hat therapeutischen Charakter, primär für Euch selbst, wie ihr auf Eurer Homepage schreibt. Bug als eine Art Anger-Management?
O.: Anger-Management klingt mir da ein bisschen zu pathetisch. Bug ist nach wie vor primär Selbstzweck. Wir sind mittlerweile mehr oder weniger angep(a+i)sste Mitglieder der arbeitenden Gesellschaft... Innerhalb dieser „Rahmenbedingungen“ sind Ventile dringend notwendig – und Bug ist für mich nach wie vor so ein Ventil.
T:. Musik hat für mich sehr wohl einen psychohygienischen Charakter. Es ist vergleichbar mit einer geistigen Toilette. Was raus muss, muss raus.

Was glaubt Ihr wärt ihr für Persönlichkeiten/Charaktere, wenn diese Kanalisation von ver(w)irrten Gemütszuständen und tiefen Ängsten wegfallen würde?
O.: Diese Kanalisation „wirkt“ ja auch nur bedingt. Ich möchte die ver(w)irrten Gemütszustände und tiefe Ängste nicht hochstilisieren – aber Tatsache ist, dass je älter du wirst um so mehr Fragen stellst du dir – und das sind nicht immer sehr angenehme – oder anders formuliert – die Leichtigkeit bzw. Unbeschwertheit ist nicht mehr in dem Ausmaß vorhanden wie das einmal war. Konstanten wirken da als „harmreduction“. Bug ist vielleicht eine solche Konstante - neben einigen anderen.
T:. Genau die selbe Person – Nur das Ventil wäre ein anderes.

Eine Figur in einem Max Frisch Roman sagt einmal: „Ich möchte nicht das Ich sein, das meine Geschichten erlebt“. Könnt Ihr Euch - zumindest temporär - in diesem Zitat wiederfinden? Zumindest einige Texte lassen darauf schließen.
M.: Ich bin der ich bin. Ich versetze mich in meinen Texten manchmal in die Perspektive von nicht sehr angenehmen Zeitgenossen. Dabei ist ein Teil von ihnen ein Teil von mir.

Noch ein Zitat. Der umstrittene katalanische Regisseur Calixto Bieito hat in einem Interview (Die Zeit v. 18.06.03) geäußert: „Ich bin weniger ein Moralist als ein Skeptiker. Manchmal glaube ich nicht mehr an den Menschen. Und dann fühle ich doch wieder, dass der Mensche etwas sehr gutes ist. Das ist mein Widerspruch. Ich bin kein Nihilist. Nur Schwärze, das wäre schrecklich“. Würdet Ihr das mit unterschreiben?
T.: „Die Menschen“ pauschal als schlecht abzutun – damit macht man es sich zu einfach. Wir leben in einem System, dessen grundlegendes Funktionsprinzip der Kampf aller gegen alle ist und welches darauf abzielt, den größtmöglichen Nutzen, für die größtmögliche Zahl zu ziehen. Ich verteufle eher dieses System, als „die Menschen“. Als Skeptiker würde ich mich allerdings schon sehen.

Zu den Lyrics. Inwieweit sind diese nur Beschreibungen bzw. Geschichten? Wie viel persönliches/persönlich Erlebtes spielt dabei mit hinein?
M.: Meine subjektive Chronologie des Niederganges unserer Gesellschaft. Die Texte sind teils Reflexionen zu persönlichen Erlebnissen, teils Kollagen aus Interviews/Zitaten/Essays. Selbsttherapie heilt nicht!

Ihr übt auf eine sehr persönliche Weise Gesellschaftskritik. Gibt es bestimmte Aussagen, die Euch wichtig sind? Inwieweit kann man Bug auch als politische Band verstehen?
M.: Bug haben keine Botschaft. „Leben tut weh – das Leben ist schön“.
T.: Ich würde Bug nicht als politische Band sehen. Das hat so was von 68er – liedermachmäßiges. Texte eines Rocksongs können meiner Meinung nach nur persönlich sein, wenn sie authentisch sind. Je nachdem was für eine Persönlichkeit man hat, kommen dabei, blabla-Texte übers Frauenflachlegen und schnelle Autos raus – oder eben etwas, das einen tieferen Einblick ins Innere eines Autors zulässt. Wenn man predigt, wird es schnell zu allgemein – daher kann auch die Kritik in einem Text nur sehr persönlich sein. Ich sehe in unseren Texte schon eine gewisse Grundhaltung, die ich aber nicht in Schlagworte fassen möchte.
O.: Wir sind definitiv keine politische Band – vielmehr politisch denkende Individuen.

Besonders im Stück „Stammheim“ (vom „Agape“ Album) wird eine doch recht radikale Aussage getroffen. Laut den Liner-Notes scheint dies aber eher als Versuch der Beschreibung der Geschichte, denn als Identifikation.
M.: Meine Inspiration zu „Stammheim“: die gleichnamige deutsch Fernsehserie, Interviews mit bekehrten RAF- Terroristen und Hardlinern. Ich beschreibe Motivation der Täter und kollektiven Wahnsinn der bleiernen Zeit, das Ende von Flower Power Idealen.
T.: Die Aufarbeitung der 70er und 60er in Deutschland treibt teilweise seltsame Blüten. Aber prinzipiell finde ich es begrüßenswert, dass die Geschehnisse von damals aufgearbeitet werden und nicht in Vergessenheit geraten. Von einer Glorifizierung der RAF würde ich mich trotzdem hüten.

Wo zieht Ihr evtl. die Grenze zwischen Beschreibung und Identifikation bzw. Akzeptanz?
M.: Die Grenzen verschwimmen. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Die RAF ist mit ihrem bewaffneten Widerstand gescheitert. Unser Leben heute wird von wirtschaftlichen Sachzwängen dominiert. Der Kapitalismus diktiert die neue Weltordnung. Extremismus als Form des Widerstandes erscheint als Alternative.

Seht Ihr Euch damit auch in einer Reihe der popkulturellen Überformung der RAF, die inzwischen von Jan Delay, über Modestrecken bis zu einer geplanten Ausstellung reicht?
M.: Nein!

Wie steht Ihr zu dem Track nach dem 09/11/01?
M.: Der Terror des 11.09.01 ist der Triumph des Fanatismus und des Wahnsinns über die Maximum Security der letzten Supermacht. Durch die Zerstörung des WTC wurde in erster Linie die USA in ihrer Rolle als Weltpolizei gestärkt. Der Staat erhielt die Legitimation zur weiteren Beschneidung von Bürgerrechten.
T.: Ich finde eher, dass der 11.09.01 popkulturell überformt wird. Ich glaube nicht, dass das ein markanter Einschnitt in der Geschichte ist – Viel eher wird uns hier vor Augen geführt, dass ein Klima der kollektiven Betroffenheit jeglichen kritischen Diskurs unmöglich macht – und das auf Jahre hinaus.

Ihr zitiert Charles Manson (“Total paranoia is total awareness”). Gibt es ein zuviel Begreifen von dieser Welt und Ihren Mechanismen?
M.: Nein. Die krudesten Verschwörungstheorien sind harmlos zu den Machenschaften, die sich wirklich an den Schalthebeln der Macht abspielen. Die Illuminati regieren bereits die Welt.
T.: Nur für Schizophrene, für die es keine Trennung zwischen Außen- und Innenwelt mehr gibt. Ansonsten habe ich das Gefühl, je mehr ich glaube zu wissen, desto bitterer und sarkastischer werde ich.

Wie jemand richtig geschrieben hat schlägt Eure Mischung aus dicht verwobenen und kaum auflösbaren Gitarrenwänden und wütenden Geschrei den Zuhörer entweder in die Flucht oder versetzt ihn in extatisches Verzücken. Was waren bis dato die interessantesten Reaktionen auf Euren Sound?
T.: Tatsächlich überrascht es mich jedes Mal, wenn irgendjemand außenstehender das was wir machen gut findet. Wir sind keine besonders guten Marktschreier und kämpfen folglich gegen eine Wand aus Gleichgültigkeit und Unverständnis. Wir spielen auch selten den Konzertraum leer, da die Menschen meistens schon von vornherein zu Hause bleiben wenn sie hören, dass wir spielen.
O.: Es gibt einige ganz gute Rezensionen – was sich aber bis dato nicht wirklich auf unseren Bekanntheitsgrad ausgewirkt hat – aber das ist uns mittlerweile ziemlich egal. Das Feilen an Songs macht uns immer noch Spaß und ab und zu ergibt sich auch ein Gig – das sehen wir dann eher als lustigen Betriebsausflug – wenn’s dann noch Menschen gibt denen die Performance gefällt ist das natürlich ganz fein. Ich stelle fest, dass Menschen unter Einfluss psychoaktiver Substanzen mit unserem Sound am meisten anfangen können – ja sich sogar rhythmisch bewegen.

Habt Ihr für Euch eine Art „Theory of Noise“?
O.: Weniger eine Theorie als ein praktisches Beispiel – Hört Euch die Split von Merzbow und Shora (Switching Rethorics) an – jeglicher Diskurs erübrigt sich.

2003 : NOISY NEIGHBOURS Christian Eder